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Live im Betrieb bei Georg Bechter Licht

Bei Georg Bechter Licht in Hittisau erfuhren die Teilnehmenden am Beispiel seines Eisspeichers wie innovatives Heizen und Kühlen mit Wärmepumpe, aber ohne Tiefenbohrung möglich ist und wie ein ehemaliger Stall  zu einem recyclebaren Gebäude und zum Arbeitsplatz wurde.

„Uns treibt an, wie man neue Wege beschreiten kann.“ Damit eröffnet Architekt Georg Bechter den Abend und begrüßt die rund 40 Gäste die unserer Einladung zur Veranstaltung Live im Betrieb in Hittisau gefolgt sein. Bei ihm geht es sehr oft um das Ausloten von Grenzen und deren Auflösung – so hat er es auf seiner Website stehen und das spiegelt auch das Gebäude wider, das wir besichtigen wollen. Denn hier wurde ein ehemaliger Stall zum Arbeitsplatz. Und wo bisher die Jauchegrube war, ist jetzt das Herz der Gebäudeheizung – der Eisspeicher.

Was es damit auf sich hat, wo und wie eben bei diesem Gebäude Grenzen ausgelotet und aufgelöst wurden, berichten an diesem Abend Projektarchitekt Michael Flatz, unsere Partnerbetriebe Gerhard Ritter (ekarus, Andelsbuch) und Dietmar Berchtold (dr ´  Holzbauer, Andelsbuch) sowie Thomas Roßkopf-Nachbaur vom Energieinstitut Vorarlberg.

„Wo einst Kühe standen, wird heute über Architektur, Licht und Produktion nachgedacht.“ So zu lesen in der diesjährigen Sommerausgabe des Reisemagazins Bregenzerwald. Weit über die Grenzen hinaus ist die innovative Produktions- und Denkwerkstätte in Hittisau nun schon bekannt.

Doch warum eigentlich?

 

Das Gebäude – Re-use und Regionalität 

Ziel war es, ein Gebäude zu bauen, dass komplett recyclebar ist, bei dem nichts unnötigerweise weggeworfen wird und bei dem so viel Material wie möglich aus der unmittelbaren Nähe kommt. Auch auf eine intelligente energetische Planung wurde von Beginn an Wert gelegt. Die wichtigsten Facts hier zusammengefasst:

  • Dämmen mit Stroh: 650 Strohballen dämmen die Außenwände des Gebäudes.
  • Lehm, Lehm und nochmals Lehm: Rund 60 Tonnen sind im gesamten Gebäude verbaut. Für den Lehmputz im Innenbereich wurde der Aushub direkt weiterverwertet und in der Baugrube zu Lehm aufbereitet. Der 8 cm dicke Stampflehmboden – der ob seiner Feinheit fast schon ein Lehmterrazzo ist - fungiert als thermische Speichermasse und sorgt für ein angenehmes Raumklima. Die Feinheit wurde durch ganz feines Abschleifen und durch die Behandlung mit Wachs und Öl erreicht.
  • Ein Wintergarten mit südländischen Pflanzen: Der nach Süden ausgerichtete Wintergarten dient im Sommer als Wärmepuffer. Er sorgt für ein angenehmes Tageslicht, und gleichzeitig kommt die Hitze nicht in die Büroräumlichkeiten. Im Winter speichert er Wärme sorgt für angenehme Temperaturen. Er kann geöffnet und belüftet werden. Und das Highlight: Er dient auch als Gewächshaus für Gemüse und südländische Pflanzen wie Feigen oder Indianerbananen.
  • Licht & Luft: Querlüften ist heutzutage vielmals nicht mehr möglich. Hier schon. Durch eine manuelle Belüftung wird im Sommer dafür gesorgt, dass weniger Kühlenergie benötigt wird. Auch an den heißesten Tagen gelingt es durch das nächtliche Lüften, die Raumtemperatur erträglich zu halten. Und das ganz ohne Klimaanlage.
  • Wärme und Kälte: Die Beheizung und Kühlung des Gebäudes erfolgt über wassergeführte Leitungen in den Fußböden.
  • Heimisches Holz: Das Holz der in sich geschwungenen Fassade stammt natürlich aus den umliegenden Wäldern, der CO2-Fußabdruck ist somit minimal. Doch was jetzt wunderschön anzusehen ist, war nicht immer einfach zu realisieren:

„Georg hat uns mit seinen Ideen und Vorstellungen oft an die Grenzen gebracht. Aber wir haben in dem einen Jahr ungemein viel gelernt. Immer wieder, wenn wir glaubten es geht nicht mehr, haben wir doch noch eine Lösung gefunden. Wir haben extrem viel ausprobiert und haben die Normen sehr oft ausgereizt. Aber es musste Georg klar sein, dass wir hier für all diese Versuche keine Verantwortung übernehmen“, lacht Dietmar Berchtold, Geschäftsführer von dr’Holzbauer.

 

Heizen mit Eis

Herzstück des Gebäudes und wohl innovativster Baustein ist aber der Eisspeicher. Dank der vorhandenen Jauchegrube des Bestandsgebäudes war ein Eisspeicher für Energieexperte Gerhard Ritter und den Bauherren von Anfang an ein Thema. Es war wieder etwas, dass nicht der Norm entsprechen sollte. Aber hier die wichtigsten Facts zum Paradoxon „Heizen mit Eis“ im Überblick:

  • Großes Volumen und lange Leitungen: Ein Eisspeicher braucht zunächst ein großes wasserdichtes Volumen. Ist ein solches, wie in diesem Fall mit der rund 80 m3 großen Jauchengrube, bereits vorhanden, hat man einen kostenmäßigen Startvorteil.
    Der Wasserbehälter ist mit 60.000 Litern Regenwasser gefüllt. Weiters sind 1.800 m Leitungsrohre im Behälter verlegt, wobei es unterschiedliche Leitungen für Kühlung und Heizung gibt.
  • Physikalisches Phänomen: Beim Abkühlen um den Gefrierpunkt, also bei der Vereisung von Wasser von 1 Grad auf 0 Grad, wird ungewöhnlich viel Wärme freigesetzt – um genau zu sein 80x mehr, als beim Abkühlen von z.B. 6 auf 5 Grad Celsius. Dieses physikalische Phänomen der Latentwärme wird hier ausgenutzt. Dh, man kann dem Wasser rund um seinen Gefrierpunkt ungewöhnlich viel Wärme entziehen ohne es stark abzukühlen.
  • Heizen mit Eis: Eine Wärmepumpe entzieht dem Eisspeicher die Wärme und erzeugt die Vorlauftemperatur der Fußbodenheizung im Stampflehmboden. Der Eisspeicher gefriert langsam von innen nach außen. Am Ende der Heizperiode ist dann ein Teil des Wassers zu Eis gefroren. Mit dem warmen Wasser einer Solaranlage wird das Eis über den Sommer wieder flüssig gemacht. Ab Herbst beginnt der Kreislauf wieder von Neuem und kann unendlich wiederholt werden.
  • Sonne & Eis: Die Solarthermie ist in Kombination mit dem Eisspeicher um ein Vielfaches effizienter als würde sie zur reinen Warmwasseraufbereitung genutzt werden. Warum das so ist, ist ganz einfach zu beantworten: Zur Aufbereitung von Warmwasser sind 40-65 Grad notwendig, zum Tauen des Eisspeichers reichen 20 Grad. Man nutzt den kleinsten Sonnenstrahl.
  • Eis auf Vorrat zum Kühlen: Gegen Ende des Winters ist ein Teil des Wassers im Eisspeicher gefroren. Mit dem vorhandenen Eis kann das Gebäude im Sommer passiv (ohne Einsatz der Wärmepumpe) gekühlt werden. Steigen die Temperaturen, wird das Eis langsam aufgetaut und kühlt über Kühlleitungen im Stampflehmboden das Gebäude.

Für Gerhard Ritter sind folgende Punkte wesentlich:

  • Damit so ein Projekt gelingen kann, braucht es die Risikobereitschaft des Bauherrn und Tools die uns dabei helfen, möglichst genaue Berechnungen zu machen und ein exzellentes Monitoring ermöglichen. Denn nur so können wir abschätzen, wie weit von der Norm abgewichen werden kann.
  • „Eisspeicheranlagen sind keine Wunderwerke und auch nicht für jedermann/jederfrau die beste Lösung. Sie haben physikalische Grenzen und sie brauchen Platz. An erster Stelle sollte deswegen immer die Reduktion des Energieverbrauchs stehen, also das energiesparende Gebäude.“
  • „Es braucht engagierte Architekt*innen die Haustechnik von Beginn an als integralen Bestandteil des Gebäudes sehen und mitplanen. Nichts ist schlimmer, als wenn die Haustechniker*innen am Ende etwas richten soll, dass vorher verbockt wurde.

 

Vorzeige Benchmark

Das der Eisspeicher in Kombination mit Wärmepumpe und Solarthermie tatsächlich überaus effizient ist, zeigt die aktuellste Monitoringauswertung, die Thomas Roßkopf-Nachbaur vom Energieinstitut Vorarlberg den Teilnehmer:innen abschließend präsentierte.

Im Benchmarkvergleich bei Bürogebäuden liegt das Gebäude weit vorne – es ist um ein Vielfaches besser als andere Benchmarkwerte, welche zwischen 53 und 153 kWh/(m²NGFa) Endenergieverbrauch für Heizung liegen. Insbesondere der Endenergiebedarf für Heizung und Hilfsstrom ist sehr gering: 5,2 kWh/(m²NGFa) im Jahr 2021 und 3,8 kWh/(m²NGFa) im Jahr 2021. Die Wärmepumpe weißt eine besonders hohe Effizienz auf (5,7 im Jahr 2021 und 6,4 im Jahr 2022) und der tatsächliche Heizwärmeverbrauch passt sehr gut mit der PHPP-Berechnung der Planung überein.
Die detaillierte Monitoring Auswertung lesen sie hier.

 

Die Veranstaltung wurde in Zusammenarbeit mit Partnerbetrieb Traumhaus Althaus organisiert. Die beteiligten Betriebe ekarus und dr ´  Holzbauer sind Mitglieder des Netzwerkes Partnerbetrieb Traumhaus Althaus.

Text: Julia Weger, Wegweiser-Büro für nachhaltige Ideen